Das Theologische Wörterbuch zu den Qumrantexten (ThWQ) in Logos

Logos veröffentlicht in diesen Tagen die elektronische Version des Theologischen Wörterbuchs zu den Qumrantexten (ThWQ). Dieses Wörterbuch ist an das Theologische Wörterbuch zum Alten Testament (ThWAT) angelehnt und untersucht alle Lexeme, die in der Literatur belegt sind, die in den Höhlen von Qumran und den weiteren Höhlen am Toten Meer gefunden wurde. Dabei geht es nicht nur um die Wortbedeutungen, sondern auch um die theologischen Konzepte, die hinter wichtigen Begriffen stehen.

Die Printfassung entstand zwischen 2011 und 2016. Innerhalb von Logos kommt man von den Bibeltexten sehr schnell zu den Einträgen im ThWQ und weitet so den eigenen Horizont auf diese wichtige theologie-, religions- und literaturgeschichtliche Epoche.

Autor der Rezension: Thomas Hieke

Erstellt: 02.04.2022

Eine weitere Rezension von Stephanus Schäl findet sich hier.

Die Rollen vom Toten Meer

Die Funde der Schriftrollen von Qumran und weiteren Höhlen am Toten Meer ab 1947 sind ein gewaltiger Meilenstein für die Bibelwissenschaft und die Theologie insgesamt. Handschriften mit Texten, die heute in der Bibel enthalten sind, sowie religiöse Werke aus deren Umfeld und in Reaktion (Auslegung) auf diese "biblisch gewordenen" Texte faszinieren seither die scholarly community: Man hat hier nicht nur Handschriften von Bibeltexten gefunden, die ein Jahrtausend älter sind als die bisher bekannten Handschriften aus dem Mittelalter. Die Schriftrollen geben auch Zeugnis von der Vielfalt des religiösen Denkens und Schreibens in den divergierenden Ausprägungen des jüdischen Glaubens zwischen der Mitte des 2. Jh. v. Chr. und der Mitte des 1. Jh. n. Chr. Das Entziffern, Rekonstruieren und Publizieren der Schriftfunde nach wissenschaftlichen Standards hat mehrere Jahrzehnte in Anspruch genommen und ist etwa vor zwei Dekaden zum vorläufigen Abschluss gekommen.

Die theologische Aufgabe und das ThWQ

Die anschließende Aufgabe bestand in der theologischen Erschließung des vergleichsweise großen Literaturkorpus. Das dreibändige Theologische Wörterbuch zu den Qumrantexten (ThWQ; unter Mitarbeit vieler internationaler Forscherinnen und Forscher hg. von Heinz-Josef Fabry und Ulrich Dahmen, 2011; 2013; 2016) stellt sich dieser Herausforderung. Es erfasst alle dem Literaturbereich „Qumran“ zugeschriebenen Texte und will die Semantik des dort verwendeten Vokabulars dahingehend erschließen, dass die theologische Aussage der Schriften deutlich wird.

Damit wird ein wesentlicher Teil der Theologie-, Religions- und Literaturgeschichte von Judentum und Christentum sehr differenziert zugänglich. Das ThWQ ist ein Standardwerk für die Erforschung der Geschichte des Judentums, der Entstehung des Christentums, des Alten und Neuen Testaments und des rabbinischen Judentums – es durchleuchtet den Wurzelboden für religiöse Konzepte und Vorstellungen, die bis heute die Theologie von Judentum und Christentum prägen.

Das ThWQ in Logos

Ein solches Standardwerk möchte man stets bei der Hand haben. Ermöglicht wird dies durch die Integration der elektronischen Version in die Bibelsoftware Logos. Damit erhält man alle Vorteile, die diese integrierende Konzeption bietet. So gelangt man bei der Untersuchung eines biblischen Textes, etwa Sach 12,10, wo vom „flehentlichen Bitten“ (EÜ; hebräisch תַחֲנוּנִים, taḥănûnîm) die Rede ist, mit wenigen Klicks (über Rechtsklick, Blitzinfo, ThWQ) auf den zugehörigen Eintrag im ThWQ (Lemma: חָנַן ḥānan).

Dort findet man dann Informationen zum Vorkommen der Nominalform in den aramäischen und hebräischen Qumrantexten sowie zur theologischen Bedeutung des Wortes.

Hat man die entsprechenden Ressourcen in seiner Logos-Bibliothek, etwa die Logos-Ausgabe der „Qumran Sectarian Manuscripts“ (QSM) von Martin G. Abegg, so wird beim Fahren mit dem Mauspfeil über den Beleg (z.B. 4Q437 2 i 7) der jeweilige Text des Fragments angezeigt und beim Klick darauf in einem neuen Fenster geöffnet. Auf diese Weise ist es leicht möglich, den Horizont über die biblischen Belege hinaus zu weiten und zu sehen, wie theologisch aufgeladene Begriffe in der Qumranliteratur verwendet werden.

Große Wörter

Natürlich kann man auch gezielt „große Wörter“ (wichtige theologisch aufgeladene Begriffe) im ThWQ nachschlagen (wie auch in der Printausgabe), beispielsweise etwa מָשִׁיחַ māšîaḥ.

Das Inhaltsverzeichnis des Artikels מָשִׁיחַ māšîaḥ (s.o.) zeigt die Vielfalt der behandelten Themen. Hilfreich ist als Ausgangspunkt sicher, die Verwendung in der Hebräischen Bibel kurz zu rekapitulieren. Ist einem diese vertraut, kann man gleich zum „Qumranischen Hebräisch“ springen, indem man auf „QH“ klickt. Sucht man nach speziellen Messiaskonzepten und deren Belegen, klickt man auf die entsprechenden Überschriften.

Neutestamentlich interessierte Forschende werden bei „4Q521“ hellhörig, der sogenannten „Messianischen Apokalypse“. Hier entfaltet der Artikel, dass dieses Fragment eschatologische Heilstexte v.a. aus dem Jesajabuch aufgreift und daraus eine Erwartung formuliert, wie sie dann auch in der Täuferanfrage im Neuen Testament (Mt 11,2–6 par.; aus der Logienquelle Q) begegnet. So wird klar, dass Heils- und Messiaserwartungen – gespeist aus Texten der Hebräischen Bibel – im Frühjudentum in entsprechender Weise kursierten und so auch von den Trägerkreisen des Spruchevangeliums Q aufgegriffen wurden.

Ist die entsprechende Ressource vorhanden, so öffnet ein Klick auf „4Q521“ im Artikel des ThWQ in einem neuen Fenster den zugehörigen Abschnitt in „The Dead Sea Scrolls: A New Translation“ (M.O. Wise; M.G. Abegg; E.M. Cook) und bietet eine Einführung in das Fragment und dessen messianische Erwartung sowie eine englische Übersetzung.

Große Namen

Spannend ist es auch, sich von Texten der Hebräischen Bibel mit „großen Namen“ auf deren Vorkommen in der Qumranliteratur verweisen zu lassen. Was macht eigentlich „Levi“ in Qumran?

Von einem Bibelbeleg ist man über den Rechtsklick und Blitzinfo schnell beim entsprechenden Artikel im ThWQ und lernt, dass Levi und die Leviten rund 80mal in den hebräischen Qumrantexten belegt sind, ungefähr so häufig wie Abraham, und achtmal in den aramäischen Texten (sowie einmal im hebr. Sirach Sir 45,6). Der Artikel von U. Dahmen bietet einen schnellen Überblick über die Rolle von Levi bzw. den Leviten in der frühjüdischen Literatur (u.a. in der Tempelrolle 11QT, in der Damaskusschrift CD, in 1QS, im Jubiläenbuch, im Aramaic Levi Document ALD, bei Philo und im NT). Es ist auffällig, dass gerade in den Qumran-Belegen der „Levi-Dokumente“ (Jub, ALD/TestLevi) der Name Levi als solcher gar nicht vorkommt.

Hier würde auch eine reine Begriffssuche oder eine Konkordanz, die sich ja nur auf tatsächlich vorhandene Belege im jeweiligen Literaturkorpus (Qumranliteratur oder Bibel) bezieht, zu kurz greifen, das Theologische Wörterbuch erfasst auch diese „Belege“, also die Stellen, wo das eigentliche Lemma nicht vorkommt, aber gemeint ist.

Praxisbeispiel: Kommt eigentlich das Wort „Amen“ auch in der Qumranliteratur vor?

Auch eine solche interessante Frage kann man mit dem ThWQ leicht beantworten, wenn man den entsprechenden Artikel אָמַן I ʾāman aufschlägt. Die Bekräftigungsformel kommt 60mal vor, und zwar immer gedoppelt: „Amen amen“: „Fast die Hälfte der Belege der Wurzel אמן in der Qumranliteratur entfällt auf das Adverbial-Ptz. אמן (ʾāmen). Es begegnet immer als Syntagma אמן אמן am Ende eines Satzes, auch dort, wo der zweite Beleg materialiter weggebrochen ist“ (D. Hamidović in seinem Artikel im ThWQ).

Die Formel dient weit überwiegend in der Gebetsliteratur zur Bekräftigung des Gesagten. Anders als im Neuen Testament steht die Doppelformel „Amen! Amen!“ immer am Ende eines Segens, eines Gebets, eines Fluches oder einer Liturgie.

Praxisbeispiel: Überraschungen

Wer in Chirbet Qumran über die Ausgrabungen der Siedlung läuft, findet Installationen von Wasserläufen und Bassins, die gerne als „Miqwen“ (Miqvaot) bezeichnet werden. Waren nicht die Leute von Qumran sehr auf ihre kultische Reinheit bedacht, so dass sie also diese Ritualbäder angelegt haben? So könnte man allzu schnell schlussfolgern.

Nun ist aber sehr umstritten, was die Siedlung mit den Schriftrollen zu tun hat und ob das alles wirklich Ritualbäder sind. Auch die Qumranliteratur verwendet den Begriff מִקְוֶה miqwæh keineswegs als Fachbegriff für das Ritualbad, so zeigt es das ThWQ. In dieser Zeit ist nämlich die „Miqwe“ als künstliche Installation zur kultischen Reinigung noch nicht etabliert; erst in rabbinischer Zeit und Literatur wird eine entsprechende Halacha dazu entwickelt.

Fazit

Das ThWQ ist eine äußerst ergiebige, lehrreiche und instruktive, den Horizont erheblich weitende Ressource. Studien zu biblischen Texten, zur Hebräischen Bibel wie zum Neuen Testament, profitieren stark vom Blick in die Qumranliteratur – ein solcher „Ein-Blick“ wird durch die elektronische Bereitstellung in Logos sehr erleichtert. Von den Bibeltexten kommt man schnell zum jeweiligen Artikel, vom Artikel wiederum schnell zu den Primärquellen, wenn sie in der eigenen Logos-Bibliothek vorhanden sind.

Das Wörterbuch liefert nicht nur die Semantik des jeweiligen Wortes im Kontext der Qumranschriften, sondern auch eine theologische Einordnung und Bewertung im Rahmen der frühjüdischen Literatur des Zweiten Tempels. Gerade auch, wer (noch) kein Experte in Sachen Qumranliteratur ist, kann den Darlegungen sehr gut folgen und bekommt ein ganzes Universum erschlossen.