Erstellt: 15. Mai 2020
Autor des Testberichts: Thomas Hieke
Nun hat es Logos Bible Software (Faithlife.com) geschafft, die großartige Ressource Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (TUAT) im bewährten Format in die elektronische Bibliothek zu integ- rieren. Damit ist ein Regalmeter an gedruckten Büchern auf dem PC, Notebook oder Smartphone zugänglich, vom Rechner durchsuchbar und für die eigene Forschungsarbeit kopier- und zitierbar.
Die „Texte aus der Umwelt des Alten Testaments“ (bekanntes Kürzel: TUAT) sind ein unverzichtbares Standardwerk für ein vertieftes Studium der Bibel. Die Sammlung von Quellentexten TUAT erhellt die Gesellschaften, Kulturen und Religionen des antiken Vorderen Orients, also den Hintergrund, vor dem die Bibel als „Gottes Wort in Menschenwort“ entstanden ist. Um die vielfältigen Erfahrungen der Menschen mit Gott, die in das Monumentalwerk „Bibel“ (insbesondere die Hebräische Bibel, in christlicher Rezeption „Altes Testament“ genannt) eingeflossen sind, tiefer zu verstehen, ist es hilfreich, ja notwendig, den eigenen Horizont zu weiten und in die faszinierende Welt der Antike einzutauchen. Doch nicht nur die Bibelwissenschaft profitiert von TUAT, vielmehr ist TUAT längst auch ein anerkanntes Referenzwerk in der Altorientalistik, in der Ägyptologie und in der Religions- und Kulturgeschichte des antiken Vorderen Orients.
Die „Texte aus der Umwelt des Alten Testaments“ erschließen in deutscher Sprache einen riesigen Textbestand aus dem antiken Umfeld der Hebräischen Bibel. Diese noch nicht abgeschlossene Sammlung vereint Quellentexte, die in einem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit der Hebräischen Bibel/dem Alten Testament stehen, aber auch unbekanntere Texte. Fachleute der entsprechenden Disziplinen übersetzen und kommentieren die Quellen. Mit diesem Material wird ein interkultureller Vergleich ermöglicht, der in diesem Umfang einzigartig ist. Und die Integration dieses wertvollen, komfortabel durchsuchbaren Textkorpus in eine Software, die den Texten der Bibel auf den Grund gehen will, ist ein großer Wurf.
Die Sammlung TUAT enthält Texte vom 25. Jh. v. Chr. bis zum 3. Jh. n. Chr., aus Ägypten, dem Hethiterreich, aus Akkad und Sumer, Alalah, aus dem altsüdarabischen Bereich, aus Nordarabien und dem Iran, aramäische Texte, Texte aus Kanaan und Mari, aus Moab, Phönizien und Ugarit, schließlich auch griechische Texte aus Ägypten. TUAT ist damit die wichtigste und umfangreichste deutschsprachige Sammlung von Texten, die das religionsgeschichtliche, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche sowie politische und rechtliche Umfeld des Alten Testaments erhellen und somit heutigen Lesern einen Eindruck von der sprachlichen und kulturellen Enzyklopädie geben, in der die biblischen Vorstellungen und Texte entstanden sind. Im englischsprachigen Bereich in etwa vergleichbar ist die von William W. Hallo und K. Lawson Younger herausgegebene Sammlung „The Context of Scripture“ (CoS, 4 vols., Leiden: Brill, 1997–2016). CoS ist jedoch nicht so umfangreich, und bisher sind nur die ersten drei Bände in elektronischer Fassung zugänglich.Wie ist TUAT aufgebaut?
Von TUAT gibt es zwei Folgen: Die „Alte Folge“ (TUAT-AF) wurde von Otto Kaiser herausgegeben und erschien von 1982 bis 1997 zunächst in Lieferungen, die dann in drei Bände (I–III) zusammengefasst wurden. Eine Ergänzungslieferung (TUAT-E) wurde 2001 publiziert. Die „Neue Folge“ (TUAT-NF) wird von Bernd Janowski und Gernot Wilhelm, ab Band 5 von Bernd Janowski und Daniel Schwemer herausgegeben und umfasst derzeit acht Bände, ein neunter Band zur „Wissenskultur“ ist in Planung. Es ist Bernd Janowski und seinem Herausgeberteam sowie allen Beitragenden ein großer Dank auszusprechen, dass durch TUAT-NF das große Werk, das einst Otto Kaiser angestoßen hatte, fortgeführt und hervorragend erweitert wird. Meine Rezensionen zur CD-ROM-Fassung von TUAT-AF (inzwischen vergriffen) und allen TUAT-NF-Bänden sind in der Zeitschrift Bibel und Liturgie zwischen 2007 und 2015 erschienen; die Textfassung steht auf meinem Blog.
Alle zwölf Bände der Alten und Neuen Folge der Texte aus der Umwelt des Alten Testaments sind komplett digital erschlossen und sehen in der Logos-Bibliothek so aus:
Üblicherweise wird TUAT mit Band- und Seitenzahl zitiert. So bezeichnet man beispielsweise den Beginn der Behandlung der babylonischen Dichtung Enuma Elisch durch W.G. Lambert mit dem Kürzel „TUAT-AF III, 565“. Fährt man in der obigen Bibliotheksdarstellung von Logos mit dem Mauszeiger auf die kleinen Titelbilder, so öffnet sich sofort ein Informationsfenster, das auch diese Kurzbezeichnungen mit Bandnummern anzeigt. Wahlweise kann man auch auf das Informationssymbol ⓘ klicken, so dass die Informationen zum jeweils angeklickten Band einschließlich der Kurzbezeichnungen angezeigt werden.
Zur Übersicht über den Bestand folgt hier noch einmal eine Tabelle mit den Kurztiteln (Zitationsweise) und der ausführlichen Bandbezeichnung:
TUAT-Kurzbezeichnung | Bandbezeichnung |
TUAT-AF I | Rechts- und Wirtschaftsurkunden – Historisch-chronologische Texte |
TUAT-AF II | Religiöse Texte |
TUAT-AF III | Weisheitstexte, Mythen, Epen |
TUAT-AF E | Ergänzungslieferung |
TUAT-NF 1 | Texte zum Rechts- und Wirtschaftsleben |
TUAT-NF 2 | Staatsverträge, Herrscherinschriften und andere Dokumente zur politischen Geschichte |
TUAT-NF 3 | Briefe |
TUAT-NF 4 | Omina, Orakel, Rituale und Beschwörungen |
TUAT-NF 5 | Texte zur Heilkunde |
TUAT-NF 6 | Grab-, Sarg-, Bau- und Votivinschriften |
TUAT-NF 7 | Hymnen, Klagelieder und Gebete |
TUAT-NF 8 | Weisheitstexte, Mythen und Epen |
An der Bandbezeichnung sieht man bereits, wie man sich TUAT erschließen kann: nach der groben Textsorte (Gattung). Innerhalb der Bände erfolgt die Gliederung nach Regionen bzw. Sprachen.
Bei jedem Band, den man zum ersten Mal in Logos öffnet, sollte man sich über die visuellen Filter (drei dicke Punkte, die zu einem Dreieck geordnet sind), die Seitenzahlen anzeigen lassen, um den Bezug zur Druckausgabe anhand eben dieser Seitenzahlen herstellen zu können und in der konventionellen Weise TUAT-AF bzw. TUAT-NF zitieren zu können:
In den TUAT-Bänden kann man in der gleichen Weise suchen wie in anderen Logos-Ressourcen. Dabei werden die deutschen Umlaute ignoriert, d.h. „Vater“ findet auch „Väter“ und „Vaters“, „Gott“ findet auch „Götter“, aber „lösen“ findet auch „Lose“ und „lose“. Praktisch ist, dass auch in Fußnoten gesucht wird (man kann das über Alle Textebenen > Felder durchsuchen einstellen) und diakritische Zeichen sowie Klammern ignoriert werden.
Man kann sich in Logos auch einen eigenen Arbeitsbereich „TUAT“ mit allen zwölf Ressourcen zusammenstellen, den man dann am besten nach obenstehender Tabelle anordnet. Das macht es leichter, die entsprechenden Bände (I–III, E, 1-8) zu finden. Im folgenden Beispiel habe ich in der linken Hälfte TUAT-AF (also I–III und die Ergänzungslieferung) untergebracht, in der rechten Hälfte die acht Bände von TUAT-NF in der entsprechenden Reihenfolge:
Ein solcher Arbeitsbereich eröffnet eine weitere Möglichkeit. Mit der Option Alle geöffneten Werke bei der Suche in Büchern kann man alle 12 Ressourcen von TUAT gleichzeitig nach dem gleichen Begriff durchkämmen. Im folgenden Beispiel ergab die Suche nach dem Begriff „Weihrauch“ 167 Treffer. Die Darstellungsoption nach Werk ergibt den Überblick, in welchem Band von TUAT wie viele Treffer vorkommen, und mit Klick auf das kleine Dreieck vor dem Bandsymbol kann man die Treffer sichtbar machen (bei der Ergänzungslieferung ist dies schon geschehen). Durch Klicken auf die blaue Zeile mit Titel des Werks, in dem ein Treffer vorkommt (im Beispiel: Der Regierungsbericht des Nastasen), öffnet sich die entsprechende Ressource mit dem Werk, und das gesuchte Wort (hier: Weihrauch) ist optisch hervorgehoben.
Im folgenden Beispiel habe ich die 38 Treffer im Band „Texte zur Heilkunde“ geöffnet und den Beleg zu den Hautkrankheiten angeklickt. Im Fenster rechts wird dann der vollständige Text angezeigt:
Eine Alternative zum Arbeitsbereich besteht darin, unter dem Reiter Werkzeuge und der dortigen Unterabteilung Bibliothek die Funktion Sammlungen zu wählen und eine entsprechende Sammlung zu erstellen, die man z.B. „TUAT AF und NF“ nennt und in die man die 12 Ressourcen aufnimmt. In jedem Suchfenster kann diese Sammlung dann aufgerufen und durchsucht werden.
Im folgenden Fenster gibt man unter „Kriterien für Bücher der Sammlung festlegen“ einfach „TUAT“ ein, und schon kommen die 12 Bände. Man tippt nur noch in der Zeile über „Kriterien …“ den Namen, den man der Sammlung geben will (also z.B. eben „TUAT“) ein, und schon ist sie erstellt.
An diesen bemerkenswerten Suchmöglichkeiten zeigt sich der immense Vorteil der elektronischen Ausgabe von TUAT in Logos Bible Software: Eine solche Recherche, die in Bruchteilen von Sekunden abläuft, ist in den gedruckten Ausgaben nicht möglich, denn insbesondere die TUAT-NF-Bände haben kein Sachregister mehr (möglicherweise im Vorausblick auf eine elektronische Version).
„Als oben die Himmel nicht benannt waren, unten die Erde mit Namen nicht ausgesprochen war, (da) war Apsû, der Erste, ihr Erzeuger, (und) Mummu Tiʾāmat, die sie alle gebar; …“ – mit diesen geheimnisvoll raunenden Worten, die manch ein/e Absolvent/in des Theologiestudiums noch im Ohr hat, beginnt das Epos Enūma eliš, das man früher das „Babylonische Weltschöpfungsepos“ nannte. Diese Bezeichnung ist sachlich nicht ganz zutreffend, denn um Weltschöpfung geht es nur in einem kleinen Teil des Werks. W.G. Lambert hat 1994 (TUAT-AF III) eine Beschreibung und eine deutsche Übersetzung vorgelegt (im folgenden Screenshot links). Für TUAT-NF 8 („Weisheitstexte, Mythen und Epen“) hat Karl Hecker mit guten Gründen eine Neubearbeitung vorgenommen (TUAT-NF 8, S. 88-132). Er überschreibt seine Übersetzung jetzt mit „Marduks Aufstieg zum Herrn der Welt“, was viel besser zum Epos passt, das nicht nur vom Beginn der Welt, sondern vor allem davon erzählt, wie (und warum) der babylonische Stadtgott Marduk zum obersten Gott des Pantheon wurde. In den vergangenen Dekaden ist die altorientalische Wissenschaft weiter vorangeschritten, neue Textfragmente sind bekannt geworden (Lamberts Ausgangstext stammte von 1964), zahlreiche Studien in verschiedenen modernen Sprachen sind veröffentlicht worden. Somit ist die Wiederaufnahme des bedeutsamen babylonischen Epos in neuer deutscher Übersetzung in TUAT-NF 8 mehr als berechtigt (im Screenshot rechts). Man sieht im Beispielscreen auch, dass die Logos-Version sogar die ansprechende Typographie von TUAT-NF übernimmt und den eigentlichen Text der altorientalischen Quelle in Übersetzung in einer serifenlosen Schrift darstellt, während die redaktionellen Erläuterungen und Erklärungen in einer Serifenschrift gesetzt sind.
Es geht bei TUAT nicht um eine „Parallelomanie“, die – aus welchen Gründen auch immer – um jeden Preis Parallelen zwischen der Bibel und der Literatur des antiken Umfeldes entdecken will. Über weite Strecken will TUAT einfach den Horizont weiten und eine (vermeintlich) versunkene Welt in deutscher Sprache zugänglich machen. Dazu gehören dann eben auch Wirtschaftstexte, (diplomatische) Korrespondenz, ferner juristische oder auch politische Texte, die das Gesamtbild durch andere Textsorten ergänzen und die historische Rekonstruktion auf eine breitere Basis stellen.
Freilich gibt es etliche Texte, die für das Studium der Hebräischen Bibel von ganz besonderer Bedeutung sind. Dazu seien noch einige Beispiele aus TUAT-AF und TUAT-NF angeführt.
Ein für die Rekonstruktion der Geschichte Israels sehr bedeutsamer Fund ist die moabitische Inschrift des Königs Mesa (Mescha) von Moab (die so genannte Mescha-Stele) aus der 2. Hälfte des 9. Jh. v.Chr. Diese Votivinschrift aus Anlass des Baus eines Heiligtums eröffnet im Selbstlob des Königs Mesa eine Perspektive auf Israel von außen. Unter anderem werden König Omri und sein Sohn (Ahab) erwähnt. TUAT-AF I, 646ff. bringt die Einleitung und Übersetzung des Textes durch Hans-Peter Müller.
Sehr bedeutsam für die religionsgeschichtliche Erforschung der Entwicklung der Gottesvorstellung(en) Israels sind die Inschriften von Kuntillet Ajrud, eine Ortslage an der Straße von Gaza nach Eilat. In den sehr kurzen Texten geht es um das Thema „Segen“ (Segen durch Gott, menschlicher Segen durch Gottheiten, menschlicher Segen und Lobpreis einer Gottheit). Vielleicht handelt es sich um Schreibübungen. Insbesondere werden aus diesen Inschriften zwei Aspekte deutlich: Es gibt unterschiedliche regionale Manifestationen von JHWH (von Teman und von Samaria), und JHWH hat eine Parhedros, eine Partnerin, nämlich die Göttin Aschera. Dabei ist es umstritten, ob „seine Aschera“ ein Kultobjekt oder eine weibliche Gottheit meint. Insbesondere TUAT-NF positioniert sich hier eindeutig in Richtung „Göttin“. Die Inschriften sind sowohl in TUAT-AF II, 561ff. (links), von Diethelm Conrad bearbeitet worden (1988) als auch in TUAT-NF 6, 314ff. (rechts) von Angelika Berlejung (2011). Als Beispiel dient die Inschrift auf Pithos B.
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In Ketef Hinnom in Jerusalem wurden durch Gabriel Barkay 1979 Gräber entdeckt, die auch zwei zusammengerollte Silberstreifen enthielten. Darauf sind Segenstexte eingraviert. Die Silberröllchen waren Amulette, die schon zu Lebzeiten getragen wurden. Die Texte auf den Amuletten stehen dem Bibeltext sehr nahe, insbesondere wurden Dtn 7,9; Neh 1,5; Dan 9,4 und vor allem Num 6,24-26 identifiziert. TUAT hat wiederum sowohl in der Alten Folge (TUAT-AF II, 929ff, Diethelm Conrad, 1991) als auch 20 Jahre später in der Neuen Folge (TUAT-NF 6, 311ff, Angelika Berlejung, 2011) die Texte in deutscher Übersetzung publiziert (A/KH 1 und B/KH 2). Die Neue Folge hat sich dazu entschieden, die beiden Texte (KH 1 und KH 2) synoptisch darzustellen. Außerdem wird im Vergleich erkennbar, dass TUAT-NF eine noch höhere Präzision in der Präsentation und Beschreibung der Texte angewandt hat.
Die elektronische Version von TUAT-AF und TUAT-NF, wie sie nun in Logos Bible Software zusammengestellt ist, erschließt dieses ungemein wertvolle Standardwerk noch einmal völlig neu. Es ergeben sich ungeahnte Recherchemöglichkeiten durch die maschinelle Suche. Davon werden nicht nur die Bibelexegese und die wissenschaftliche Erforschung der Hebräischen Bibel bzw. des Alten Testaments profitieren. Mit TUAT steht nunmehr für die Altorientalistik, die Hethitologie, die Ägyptologie, die Ugaritistik sowie die vergleichende Religions- und Kulturwissenschaft des antiken Vorderen Orients ein digitales Tool zur Verfügung, das man sehr schnell nicht mehr missen möchte.